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Gefühle


Es ist ein komisches Gefühl, einen Text über Gefühle zu schreiben, vielen ist es nicht mal möglich sie zu zeigen, sie zu zuordnen, in Worte oder Texte zu fassen oder sie sonstwie auszudrücken.
Ich möchte trotzdem versuchen, Euch meine Gedanken und Erfahrungen dazu aufzuschreiben.

Es geht hier vorwiegend um die Situationen die während der Heilung phasenweise bestehen.
Nahezu alle Überlebenden haben Schwierigkeiten mit Ihren Gefühlen auf verschiedene Weisen. Auch die Verbündeten sind davon mehr oder weniger direkt betroffen.
Es werden Gefühle unterdrückt, verdrängt, als falsch oder unangebracht empfunden. Dann wieder kippen sie einem wieder als plötzliche Spannungsentladung über die Füsse und treffen oft den Falschen.
Manchmal ensteht das Gefühl absolut gefühlslos zu sein und gar nichts mehr zu fühlen, doch das ist nicht wirklich so. Schon der Satz stellt ja ein Paradoxon dar, woraus man dies erkennen könnte.
So wird dies von Betroffenen oft als Gefühlswirrwarr, Gefühlsreise auf einer Achterbahn, das Gefühl jeden Moment verrückt zu werden, bescheuert zu sein oder ähnlich, beschrieben.

Wenn Körper und Seele im Gleichgewicht sind, so kommen und gehen die verschieden Gefühle Im Wechsel, man kann nahezu zeitgleich über etwas wütend sein und sich trotzdem über etwas Anderes freuen. Man ist in der Lage allen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, sie zu leben. Sie stauen sich nicht unaufhörlich in einem auf und erzeugen daher keinen inneren Druck.

Oft sind bei Überlebenden über lange Zeiträume, Gefühle von Trauer, Hoffnungslosigkeit, Unfähigkeit, Hilflosigkeit, Niedergeschlagenheit, Unfähigkeit, Kraftlosigkeit und einer nicht enden wollenden Leere vorherrschend. Es kommen Gefühle der Scham, sich schmutzig, besudelt, lebensunwert und wertlos fühlen hinzu.
Doch genauso kann der Überlebende blind hassen, wütend und enttäuscht sein, total gefrustet oder rachsüchtig sein. Zumeist werden diese Gefühle von einer grossen Angst vor vielen Dingen und Situationen begleitet.

Überlebende durften diese Gefühle nicht zeigen in traumatisierenden Situationen. Es war für sie und ihre Psyche überlebenswichtig, deshalb wurden die Gefühle abgespalten oder unter Qualen unterdrückt.
Im Unterbewusstsein und im Körper bleiben all diese nicht gelebten Gefühle jedoch gespeichert. Das Bewusstsein ist sogar oft fest davon überzeugt, dass es nicht so schlimm war, es die eigene Schuld war, der Täter einen doch gerne hat, es nur ein Traum war oder gar nicht geschehen ist.

Da die Gefühle aber für immer im Unterbewusstsein gespeichert sind, wenn sie nicht ausgelebt werden, sammeln sich dort immer mehr Gefühle an. Manchmal kommt es zum "überkochen" und zu einer , von mir sogenannten "Spannungsentladung", doch leider bringt das nur eine kurzen "Druckausgleich".
Bei manchen Menschen dauert es länger, bis das Unterbewusstsein sich irgendwie wegen des steigenden Druckes meldet, bei anderen geht es schneller, manche sterben ohne jemals den schmerzenden Druck abgelassen zu haben.

Wenn man dauerhaft heilen möchte, ist es nötig, das gesamte Unterbewusstsein von den angestauten Gefühlen zu befreien. Diese Gefühle stammen oft noch aus frühester Kindheit und je länger sie im Unterbewusstsein gefangen halten werden, desto mehr schaden und brodeln sie.
Dringen sie teilweise ins Bewusstsein und werden nicht ausgelebt, so erzeugen sie auch grosse Qualen und seelische Schmerzen. Sie können sich als psychische Krankheiten, in vielen Folgeerscheinungen und körperlichen Leiden Ausdruck suchen.

Überlebende können wieder lernen mit ihren Gefühlen umzugehen, wenn sie es möchten und auch bereit sind, den damit verbundenen Schmerz auf sich zu nehmen.
Ich erzähle Euch hier mal, wie das bei mir ablief.

Ich weiss wie schmerzhaft es ist, wenn man sein ganzes Leben zurück geht und erst einmal begreift, wie viele Gefühle man niemals ausgelebt hat.
Als ich einmal begriffen habe, dass die Gefühle nur raus möchten und dann nicht mehr weh tun, hat es mir nichts mehr ausgemacht ganz unten zu sein. Wenn die miesen Gefühle (oft mit Bildern) kamen, so habe ich nicht versucht sie zu verdrängen, sondern wann immer es ging ihnen Ausdruck zu verleihen.

Ich habe tagelang geweint, geschluchzt, gejammert und geheult mit meinem Stofftier in meine Kuscheldecke eingemümmelt. Ich habe mich bemitleidet, gefühlt und begriffen wie sehr ich gelitten habe in meinem Leben.
Ich habe Bilder gemalt, in Foren geschrieben und Gedichte geschrieben, das mache ich heute auch noch.
Ich habe mir meine Wut aus dem Körper gerannt, gebrüllt, Bretter zertrümmert und mein Bett verprügelt.
Ich habe meinen ganzen Ekel monatelang ins Klo und aus dem Fenster gekotzt.
Ich war immer wieder total unten, doch jedesmal wenn ich wieder aufstand war ich etwas stärker und die Welt erschien mir heller.
Ich habe auch heute noch viele Ängste, die es zu überwinden gilt, in 42 Jahren können sich Gefühle sehr tief in die Seele fressen. Doch bei mir fangen keine Gefühle mehr an zu brodeln oder inneren Druck auszuüben. Es sind keine "Spannungsentladungen" mehr nötig, weil ich meine Gefühle nicht unterdrücke, sondern ihnen Ausdruck verleihe und sie auslebe.
Wenn man erst einmal gelernt hat, seine Gefühle nicht mehr zu unterdrücken oder versucht sie zu verdrängen, verschwinden auch die Schuldgefühle von ganz alleine.

Ich fragte mich sehr oft, was fühle ich eigentlich gerade? Versuche ich etwas zu unterdrücken zu verdrängen und etwas anderes vorzutäuschen?
Ich brauche mich mittlerweile nicht mehr bewusst zu fragen, weil ich ein Unwohlsein in Körper und Geist meist direkt spüre und meine Gefühle dann zulasse und ihnen Ausdruck verleihen kann.
Die meiste Zeit bin ich mir sicher was ich gerade fühle und kann es auch sagen.
Gefühle die durch einen Trigger ausgelöst werden, die schaue ich mir genau an und gebe auch ihnen ihre Berechtigung, das ist mittlerweile sehr selten geworden.

Ich wünsche Euch, dass Ihr lernt zu fühlen, zu merken und ohne Gefühlsdruck zu leben, denn dann habe die guten Gefühle viel mehr Platz um sich auszubreiten.

Alles Liebe
jK


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