Startseite > Inhalt > Persönliches > Geschichten > Insel der Hoffnung | Druckversion |
Ich hänge an einer Klippe, ich habe das Gefühl ich hänge schon sehr lange hier. Seit dem ich das
letze mal mit meinem Mann zusammen hier war. Wir schauten zusammen in diesen tiefen schwarzen
Abgrund und sagten uns, dass es wohl besser wäre hier wieder weg zu gehen. Ich habe schon immer
grosse Angst, vor solch tiefen Abgünden, was passieren könnte, wenn man dort hinunter fällt.
Als wir gehen wollten geschah es, ich rutschte aus und fiel hin.
Ich konnte mich gerade noch festhalten, ich rief verzweifelt nach meinem Mann, doch anscheinend war
er schon so weit weg, dass er mich nicht mehr hören konnte. Ich habe nun aufgehört zu rufen, es
kostet zuviel Kraft. Ich konzentriere mich ganz fest darauf nicht loszulassen. Meinen Körper kann
ich schon nicht mehr spüren. Meine Hände tuen furchtbar weh, ich habe entsetzliche Angst davor los
zu lassen. Ich weiss nicht, was passiert, wenn ich mich fallen lasse. Es ist so kalt hier, ich
glaube ich erfriere, bevor meine Kräfte versagen.
Da höre ich meinen Mann rufen: "Wo bist Du, ich habe Angst, Du musst mich in den Arm nehmen". Ich
rufe zurück"Ich kann nicht mehr, Du musst mir helfen, ich falle sonst in diesen Abgrund". Er kommt
zu mir und schaut mich lächelnd an, "Warte, ich helfe Dir, ich binde schon einmal dieses Seil um
Deinen Hals, dann kannst Du nicht mehr runter fallen. Ich komme gleich wieder, ich werde Dir helfen."
Er geht wieder weg, ich schöpfe etwas Hoffnung, er ist ja so lieb, würde mich niemals im Stich lassen.
Ich fange an zu zittern, das Seil um meinen Hals schmerzt und drückt mir die Luft ab.
Da kommt mein Mann wieder, er sagt "Ich weiß jetzt, wie ich Dir helfen kann, ich bin nicht stark genug
um Dich wieder hier auf den sicheren Boden zu ziehen, aber ich kann dafür sorgen, dass Du nicht los
lassen musst. Ich habe einen grossen schweren Stein geholt, hab ihn kaum getragen bekommen. Ich werde
ihn Dir auf die Finger stellen, dann kannst Du Dich ausruhen und brauchst Dich nicht mehr fest zu
halten."
Ich höre ihn schwer stöhnen, als er den Stein zu mir heran schleppt. Er sagt"Wenn Du wieder hier oben bist,
musst Du mich trösten, ich bin ja so erschöpft." Er tut mir leid, er will ja immer nur mein Bestes.
Als er den Stein auf meine Finger legt, tut es so weh, dass ich schreie und los lasse.
Ich falle, tausend Gedanken in meinem Kopf ---wann ist das Seil zu Ende, wird es mich halten und erwürgen,
bin ich tot wenn ich unten ankomme, was wird aus meinem Mann, meinen Kindern, warum passiert gerade mir das, was
erwartet mich nun---. Ich höre meinen Mann rufen "Ich brauche Dich, warum hast Du nicht noch ein wenig
fest gehalten, der Stein ist so schwer, der hätte Dich gehalten."
Ich kann nicht mehr antworten,
ein Eiszafpen durchbohrt meinen Körper, dringt in mein Herz, ich fühle es, aber es tut nicht weh. Ich
fühle warmes Blut aus meinem Körper stömen und fühle, wie es auf meinem ausgekühlten Körper
zu Eis erstarrt. In diesem Moment merke ich dass das Seil sich anspannt, ich glaube zu ersticken,
dann gibt es einen kurzen Ruck, das Seil ist gerissen. Endlich bekomme ich wieder ein wenig Luft zum
atmen. Ich falle weiter, es ist dunkel und sehr kalt, ich bin sicher sterben zu müssen, wenn ich
unten aufschlage.
Plötzlich spüre ich, dass ich nicht mehr alleine bin, ich sehe ein schwaches Licht auf mich zukommen.
Als es näher kommt, erkenne ich, dass es ein Engel ist. Er ist wunderschön, doch er sieht sehr traurig
aus. Er breitet seine Arme aus und fängt mich auf. Ich atme tief durch, der Engel schaut mich an, er
hat Tränen in den Augen und fragt mich "Was ist denn nur mit Deinen Flügeln passiert, sie sind ja
vollkommen zerstört. Das waren bestimmt wieder einmal die Menschen, sie können es einfach nicht
ertragen, wenn jemand etwas hat, was sie nicht haben."
Ich schlucke und nicke, ja, jetzt erinnere ich mich, bei meiner Geburt hatte ich auch noch Flügel,
ganz kleine, zarte und zerbrechliche. Ich weiss nicht mehr, wann ich sie vollständig verloren habe.
Ich erinnere mich aber, dass ich mich fast nie getraut habe, sie zu benutzen, weil sie immer nur
so ganz klein und furchtbar zerbrechlich waren. Jedesmal gingen sie mehr kaputt, bis ich mich
dann nicht mehr traute sie zu benutzen.
Ich fange an zu weinen, zu schluchzen wie ein kleines Kind. Der Engel weint mit mir, dort wo seine
Tränen auf meinen geschundenen, zu Eis erstarrten Körper fallen, beginnt das Eis zu schmelzen
und ich fühle Schmerzen. Ich sehe diesen wunderbaren Engel an und erkenne , dass auch seine Flügel
an vielen Stellen zerschunden sind, er hat wohl auch furchtbare Schmerzen.
Ich frage ihn "Was ist denn mit Deinen Flügeln, sie sind ja auch ganz kaputt, werden sie uns beide
halten?" Er sieht mich an und in seinem schwachen Licht erkenne ich, dass seine Tränen blutrot
sind.
"Meine Flügel wurden auch von den Menschen zerstört, nur weil Du an mich glaubst, kann ich
noch fliegen. Ich weiss auch nicht, ob sie noch lange genug halten um uns in Sicherheit zu bringen."
Mir wird übel, ich fühle furchtbare Schmerzen, überall. Der Engel stöhnt auch vor Schmerzen.
Ich fühle, dass wir wieder fallen, immer schneller."Was ist passiert" flüstere ich" Doch der
Engel antwortet mir nicht, er hält mich ganz fest und ich halte mich an ihm voller Angst auch
ganz fest.
Dann wird es plötzlich hell und wir schlagen auf, doch der Boden ist nicht hart, sondern gibt
nach. Ich brauche ein paar Minuten um zu erkennen, dass ich noch lebe und schaue zu dem Engel
hinüber, er liegt ganz still da, seine Flügel sind total zerschmettert und kaum noch zu
erkennen. Er atmet schwer und sein Blut fliesst aus zahlreichen Wunden, auch ich blute stark
und meine Wunden schmerzen. Der Eiszapfen der meinen Körper durchbohrt hat schmerzt jetzt auch.
Er ist durch den Aufprall zerborsten, man kann ihn von aussen nicht mehr sehen.
Da höre ich aus weiter Ferne meinen Mann rufen "Bitte komm doch wieder zu mir, das kannst du
doch nicht machen." Ich will ihm antworten, doch meine Stimme versagt, ich kann nur noch
flüstern.
Da öffnet der Engel die Augen und sagt leise zu mir "Es gibt kein Zurück, hier kann man sich
nur noch selber helfen." Ich verstehe nicht so recht und richte mich vorsichtig auf um mich
umzuschauen. Wir sind nicht alleine hier, ich sehe in einiger Entfernung noch mehrere am Boden
liegen und sitzen und sich unsicher umschauen. Alle sind verletzt und haben offensichtlich
Schmerzen. Der Boden unter uns ist sehr dünn, an manchen Stellen kann ich es drunter brodeln
hören. Ein unheimliches, Angst einflössendes Brodeln, man traut sich nur sich ganz vorsichtig
zu bewegen. In einiger Entfernung höre ich Wellen rauschen, aus der anderen Richtung höre ich
Menschen reden, hämisch lachen, manche scheinen auch zu weinen.
Vorsichtig bewege ich mich darauf zu und sehe dann Menschen in einer braunen stinkenden Brühe
herumschwimmen, einige stecken auch in dem angrenzenden Sumpf fest. Ich kann erkennen, wie sie
angestrengt kämpfen, doch je mehr sie kämpfen, desto tiefer sinken sie.
Ich krieche zu meinem Engel zurück und frage ihn "Was ist das für ein angenehmes Rauschen, das
wir hier hören? "Er antwortet mir" Das ist der glasklare Ozean des Lebens, dort gibt es nur Wahrheit
und unendliche Liebe. Doch du bist zu schwerverletzt um darin schwimmen zu können, erst einmal
müssen unsere Wunden heilen, so lange wird hier für uns gesorgt, du musst nur daran glauben."
Ich beginne zu verstehen und sehe, dass überall um uns herum wunderbare Wesen am Werk sind. Sie
pflegen die Verletzten und bringen ihnen Nahrung zur Stärkung. Ich hatte sie vorher gar nicht
wahr genommen, so unauffällig und leise sind sie.
Ich beginne darüber nach zu denken, ob die stinkende Brühe die ich gesehen habe, auch einmal so
glasklar war, ob die Menschen sie wohl so verschmutzt haben und ob man diesen Menschen noch
irgendwie helfen kann. Ich frage mich auch, wie lange ich hier bleiben werde, denn trotz des
dünnen Bodens unter mir, fühle ich mich hier wohl. Ich spüre, dass ich geliebt werde. Die
wunderbaren Wesen um uns herum strahlen eine unbeschreibliche Ruhe, Kraft und Liebe aus.
Ich frage mich was aus meinen Kindern und all den Menschen, die ich so sehr liebe werden wird.
Doch ich muss schmerzhaft erkennen, dass ich keinem helfen kann, solange ich so schwer verletzt
bin.
Die Tage vergehen und ich verbringe sie damit von einer Seite der Insel zur anderen zu kriechen.
In der stinkenden Brühe glaube ich meine Kinder rufen zu hören, ich rufe ihnen Ratschläge zu,
aber vor allen Dingen, dass sie nicht aufgeben sollen. Ich rate meinen Kindern und geliebten
Menschen, an die Engel zu glauben, damit deren Flügel nicht zerstört werden.
Auf der Seite des wunderbaren, kraftspendenden Ozeans des Lebens, wird mir immer wieder
Hoffnung gemacht.Die Engelwesen um mich herum sind so vielfälltig und alle von unbeschreiblicher
Schönheit und Liebe, sie sorgen sehr gut für mich und ich fühle mich von Tag zu Tag besser.
Jetzt sitze ich wieder vor der stinkenden Brühe, mit den hilflosen Menschen, manchmal versuchen
welche sich an mir fest zu halten, doch wo sie mich berühren verbrennt meine Haut.
Mittlerweile habe ich auch meinen Mann gesehen, er steckt ganz tief im Sumpf fest und scheint
immer weiter unter zu gehen, aber er lacht dabei und scheint es gar nicht zu bemerken. Ich
kann ihm nicht helfen.
Mein Engel hat auch versucht Menschen aus der Brühe zu helfen, doch ihn haben sie mit
ihren Berührungen schwer verbrannt, so dass er still liegen bleibt und vor Schmerzen und
Leid weint. Ich nehme wieder seinen Kopf auf meinen Schoß um ihn zu trösten und seine
blutroten Tränen tauen meinen Körper immer weiter auf.
Ich hoffe, dass ich irgendwann diese Insel verlassen kann, um im glasklaren Ozean des Lebens
zu schwimmen. Ich bin sicher, dass es auch meine Kinder schaffen werden, denn ich weiss dass
einige von ihnen schon hingefallen sind und sich noch an der Klippe festhalten. Oder sie fallen
wieder zurück in die stinkende Brühe.
Es wird noch sehr lange dauern bis mein Engel und ich keine schmerzenden Wunden mehr haben,
doch dann können wir in das wunderbare glasklare Wasser des Ozeans hinausschwimmen.
Dort, und nur dort in der Liebe und Wahrheit können kaputte Flügel wieder heilen.
Ich hoffe Euch gefällt diese Geschichte und sie regt Euch zum Nachdenken an.
Alle Texte und Bilder unterliegen dem Urheberrecht und © des Betreibers.
Startseite > Inhalt > Persönliches > Geschichten > Insel der Hoffnung | Druckversion |