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Gespräch zweier Freundinnen


Du schaust mich an und fragst, wie es mir geht.....
Ich senke meinen Blick und höre mich sagen "Mir geht es gut." Du sagst "Das ist ja schön" und erzählst mir von Deiner Familie, von Deiner Schwester, deren Schwager krank ist, wie schlecht es ihm geht und dass Dein Neffe mit 16 Jahren von zu Hause weg gelaufen ist.
Du machst Dir Sorgen um den Jungen und fragst mich wie er so etwas seinen Eltern antun kann, wo die doch gerade so um seinen Onkel bangen. Der Junge sei so klug, aber so schwierig und Deine Schwester würde so unter dem Jugendlichen leiden. Das täte Dir sehr leid, wo doch Deine Schwester schon so einen "Versager" zum Ehemann habe. Seit sieben Jahren sei dieser Faulpelz arbeitslos und verdiene kaum noch Geld mit seinen zahlreichen Gelegenheitsjobs. Der Mann treibe sich jetzt oft in Kneipen herum, doch um den Jungen habe er sich doch immer vorzüglich gekümmert. Alles habe er für den Jungen getan, die teuren Hobbys habe der Vater ihm finanziert, da könne er doch etwas Dank und Achtung von seinem Sohn erwarten....
Ich frage Dich "...und wie geht es Dir?"
Du senkst den Blick und erzählst mir in knappen Sätzen, dass Du arbeitslos bist, weil Du die anzüglichen Blicke, Bemerkungen und Berührungen Deines Chefs nicht mehr ertragen konntest. Sechs Jahre hast Du in der Firma gearbeitet, hast gut verdient, doch von Anfang an habe der Chef Dir Vorschriften gemacht. Du musstest eng anliegende Kleidung tragen, er strich Dir oft über den Rücken und den Po, griff Dir von hinten an den Busen. Er machte obszöne Bemerkungen. Wenn Du gesagt hast, dass es Dir unangenehm ist, dann habe er mit der Kündigung gedroht. Als Du es Deinem Mann erzählt hast, hat dieser gelacht und gesagt, Du seist ja auch ein geiler Feger, Du solltest Dich nicht so anstellen.

Jetzt sei Dein Mann weg zu einer anderen und Du kämst mit dem Geld prima hin, weil Du ihm nicht mehr das Auto finanzieren brauchst. Es würde sogar reichen um Deine Schwester finanziell etwas zu unterstützen, wo doch deren Mann alles was er dazu verdient jetzt versaufen würde.
Doch das Wichtigste sei, dass der Junge jetzt wieder heim kommen würde. Der Junge habe auch einen Abschiedsbrief hinterlassen. Er habe geschrieben, dass er es leid sei, immer an allem Schuld zu sein, dass er sich seine Freunde selber aussuchen möchte und nicht in eine Lehre gehen will. Er habe auch geschrieben, dass er sich erst wieder meldet, wenn er mit seiner Musik Erfolg habe.
Du schaust mich wieder an und sagst "Kannst Du Dir das vorstellen, dieser kleine Spinner, träumt von einer Kariere, er wird zurück gekrochen kommen und um Gnade bei seinem Vater winseln. Dann wird der Alte ihn halb tot schlagen, er ist furchtbar wütend"
Du erklärst mir, dass Du Dir deshalb Sorgen um den Jungen machst, weil er schon öfter sehr hart gestraft worden sei, doch er sei auch sehr ungezogen gewesen und dem Vater bliebe ja beinahe nichts anderes übrig.
Du schaust mich ratlos an, winkst ab und meinst lächelnd "Naja ja, es wird dem Jungen schon nicht schaden, mir hat das bisschen Schläge in der Kindheit auch nicht geschadet, unser Vater war auch sehr streng "
Du lächelst mich unbeirrt an und fragst. Was machst Du eigentlich jetzt?"
Ich zucke zusammen, Tausend Gedanken schießen durch meinen Kopf, mir wird übel und in meinem Kopf rasen die Gedanken um den weggelaufenen Jungen, Bilder meiner Kindheit erscheinen mir vor Augen.
Ich schlucke und sage mit gepresster Stimme "Ich beschäftige mich zur Zeit mit Missbrauch, meinem Kindheitstrauma und versuche meine Seele zu heilen."
Ich schaue auf und für einen Moment treffen sich unsere Blicke, Du lächelst immer noch, doch in Deinen Augen sehe ich einen tiefen schwarzen Abgrund, ich sehe Angst und Verzweiflung, ich sehe Dich fallen. Für einen winzigen Moment scheint es so, als ob unsere Seelen sich berühren und austauschen.
Ich fühle plötzlich Deinen ganzen Schmerz und eine Träne rollt über Dein lächelndes Gesicht. Ich halte Dir meine Hand zitternd hin und Du nimmst sie und drückst sie sanft.
Ich versuche auch zu lächeln, doch es gelingt mir nicht. Statt dessen entfährt mir ein tiefer Seufzer.
Du richtest Dich auf, lässt meine Hand los und schaust in die Ferne. Ich höre Dich wie durch einen Schleier mit fester Stimme sagen "Oh, das ist ein schlimmes Thema, Kindesmissbrauch, Kinder die gequält und geschlagen oder gar sexuell missbraucht werden. Ich habe schon viel im Fernsehen gesehen, wirklich furchtbar."
Ich schaue Dich an und es kommt mir vor, als wenn Du ganz weit weg wärst, Deine Stimme klingt so unwirklich. Ich höre wie Du sagst, dass Du nun gehen musst, wegen einem wichtigen Termin beim Anwalt. Du winkst mir lächelnd zu und gehst schnell fort.
Ich schaue Dir lange hinterher und bemerke gar nicht, dass es anfängt zu regnen.
Abends liege ich noch lange wach in meinem Bett und denke über Dich nach, wie Du es schaffst, diese schlimmen Dinge einfach nicht wirklich zu sehen. Nicht zu erkennen dass der Missbrauch Dich umgibt und Deine Seele zerfrisst. Ich frage mich, wie Du es schaffst zu lächeln, wenn Du mir von Deinem Neffen erzählst, der so offensichtlich leidet und Hilfe braucht.
Ich höre lange Zeit nichts mehr von Dir, frage mich, wie es Dir wohl geht. Nach einem halben Jahr kommt ein Brief von Dir, Du bist zusammengebrochen und nun in einer Traumaklinik. Es gehe Dir jetzt schon besser. Dein Mann und Dein Chef könnten Dich jetzt endlich nicht mehr belästigen.
Dein Neffe sei nun in einem Heim mit psychologischer Betreuung. Nachdem die Polizei den Jugendlichen aufgegriffen habe und wieder nach Hause gebracht hat, sei der Vater durch gedreht und sei auf ihn los gegangen.
Die Mutter, also Deine Schwester, sei dazwischen gegangen und habe schwere Verletzungen erlitten. Nun sei Dein Schwager in einer Heilanstalt und der Bruder sei kurz vorher verstorben.
Du schreibst mir auch, dass Du angefangen hast Skulpturen aus Ton zu basteln und bald Deine erste Ausstellung hast. Ich freue mich für Dich, Du hast mit der ganzen Familie den Kontakt abgebrochen, außer mit Deinem Neffen hast Du mit keinem Kontakt. Du fühlst Dich wohl dabei und würdest nun endlich ein Leben für Dich anfangen.

Ich habe Deinen Brief oft gelesen und mich über jeden weiteren sehr gefreut. Ich wünsche Dir alles erdenklich Gute in Deinem "neuen eigenem Leben", Du hast es verdient glücklich zu sein. Du bist ein wundervoller einzigartiger Mensch.
Du hast gekämpft und verdienst heute Dein eigenes Geld. Manchmal bist Du noch sehr traurig, weil Du so weit weg gezogen bist, doch Du hast schon einige neue Freunde gefunden.


Genauso wünsche ich allen anderen Freunden und Freundinnen da draußen, dass ihr immer genügend Kraft habt um weiter zu kommen, dass ihr Hilfe findet, wenn ihr sie braucht und niemals die Hoffnung auf ein besseres Morgen aufgebt.
Ihr habt es selber in der Hand Euch Hilfe zu suchen und sie auch anzunehmen.

Alles Liebe
jK


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