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Erinnerung an den Missbrauch, so kamen sie bei mir wieder


Das läuft wohl bei jedem etwas anders ab, manche wissen es und bei anderen fehlt fast jede Erinnerung.
Manchen fällt alles wieder ein, bis ins kleinste Detail, bei anderen bleibt die Erinnerung auch aus, es erinnert sich aber der Körper und sendet Signale. Ich meine bei denen wird durch bestimmte Auslöser, der Körper an den Missbrauch erinnert und reagiert.
Es gibt gute Fachliteratur zum Thema.
Ich weiß ja nicht in welcher Phase Ihr Euch gerade befindet, aber ich schreibe Euch einmal auf, wie das bei mir so abgelaufen ist, bzw. noch immer läuft.
Ich hatte eigentlich so lange ich denken kann immer das Gefühl, mit mir würde irgendetwas nicht stimmen. Nach meiner Kindheit und Jugend befragt, habe ich stets geglaubt, bei mir sei alles normal abgelaufen.
Ich liebte und verehrte meine Eltern fast abgöttisch, besonders meinen Vater.
Meine Beziehungen zu Freunden und meinen Partnern endeten meist in einem Fiasko. In meiner ersten Ehe bekam ich vier Kinder, sie hielt sieben Jahre.
In meiner zweiten Ehe bekam ich noch ein Kind, sie hielt fünfzehn Jahre (wir waren schon 7 Jahre vorher zusammen, die habe ich mitgerechnet). Die letzten 5 Jahre waren für mich emotional gesehen der absolute Horror.
Als mein Vater 2001 starb, ging das Gefühlswirrwar bei mir so richtig los. Ich fiel in ein tiefes Loch, aus dem ich nicht mehr herauskam. Anfangs "funktionierte" ich noch eine Zeit lang, abgelenkt durch meine pubertierenden Kinder, Pferde-, und Hundezucht, meinen jammernden Mann und den Ausbau unseres 1999 gekauften Altbaus. Ich zog mich mehr schlecht als recht an den zahlreichen Ereignissen (positiv und negativ) meines Lebens weiter, von Tag zu Tag und träumte den Traum vom "Rosengarten".
Zu dieser Zeit fing ich an intensiver zu hinterfragen, was wohl mit mir nicht in Ordnung sei.
Ich verfiel immer mehr in stundenlange Grübeleien, nicht mehr wie bisher, nur dann wenn ich wirklich überflüssige Zeit hatte, sondern vernachlässigte immer mehr Dinge. Ich hatte an fast nichts mehr Freude.
Aber ich funktionierte noch immer, meine ausgesandten stummen Hilfeschreie verstand, keiner.
Mitte 2002 zog meine älteste Tochter mit 18 von zu Hause fort. Das war natürlich schwer für mich, weil ich von nun an die einzige Frau in unserem noch immer sechsköpfigen Haushalt war, aber es entspannte auch unsere Lebenssituation etwas, schon allein durch die Tatsache, daß wir nun über mehr Platz in unserem nur 150qm großem Haus hatten. Ich "funktionierte" noch halbwegs weiterhin.
Anfang 2003 fand ich eines morgens eine meiner heißgeliebten und wertvollen Zuchtstuten tot im Stall, sie hatte eine Fehlgeburt und war verblutet. Wir hatten sie 1995 aus den USA importiert, sie war für mich ein Familienmitglied, so wie alle unsere Tiere.
Im Mai kam mein Schwiegervater nach einem Schlaganfall ins Krankenhaus und starb nach wenigen Tagen.
Am gleichen Tag wurde nur wenige Stunden später das 2. Fohlen im Jahre bei uns geboren, es war eine schwere Geburt, das Fohlen überlebte nur knapp. Ich hielt mich krampfhaft emotional an diesem Fohlen fest, es war die hoffnungsvolle Enkelin der im Frühjahr verstorbenen Stute. Ich taufte sie "Hope,Joana,life goes on!" Nach 2 Tagen wurde dieses Fohlen krank und mußte mit der Stute in die Klinik, wir jagten zwischen Klinik und der Familie meines Mannes hin und her, beerdigten meinen Schwiegervater und standen meiner Schwiegermutter zur Seite.
Einige Tage später holten wir die Stute mit dem Fohlen wieder heim.
Ich hängte mein Herz noch mehr an dieses Fohlen, es wurde wieder ganz gesund und gedieh prächtig, es war für mich wie ein Ausgleich zu meinem sonst so schweren Alltag.
Am 27.06.2003, dem Geburtstag zwei meiner Söhne (geb.86 u 90), gleichzeitig dem Tag der Abschlußfeier eines weiteres Sohnes, zerplatzte auch diese "dünne Seifenblase".
Während eines schweren Gewitters wurden Stute und Fohlen tödlich vom Blitz getroffen. Für mich brach die Welt zusammen, aber ich schaffte es irgendwie noch immer die allernötigsten Sachen zu erledigen. Ich fühlte mich innerlich total tot und wie eine Marionette, von meinem Mann erhielt ich weder Trost noch wirkliches Verständnis.
Wenige Wochen später zog mein mittlerweile 17jähriger Sohn zu seinem leiblichen Vater, ich verstand meinen Sohn. Mein Ex-Ehemann triumphierte und mein Noch-Ehemann zeigte auch sichtlich Freude daran. Ich resignierte fast vollständig, litt an wahnsinnigen Schmerzen. Mein Mann stempelte mich als Simulantin ab und forderte von mir eheliche Pflichten und daß ich meinen Kram alleine schaffte.
Ich brach fast alle Kontakte zu Freunden ab, ging nur noch der Tiere wegen aus dem Haus, vernachlässigte unseren Haushalt immer mehr (ich hatte es nie geschafft ihn wirklich anständig zu führen), aber am schlimmsten war ich zu mir selber.
Ich war ganz unten, dachte an Selbstmord, pflegte mich gar nicht mehr, mein Mann sprach von Trennung, aber ich wollte nicht aufgeben und suchte im Internet nach Erklärungen für meinen schlechten Zustand (ich litt an vielen verschieden Verhaltensauffälligkeiten). Mein Mann blieb natürlich da und quälte mich weiter mit seinen, für mich unmöglich zu erfüllenden Forderungen, ich schaffte es sogar noch oft Ihn in den Arm zu nehmen und zu trösten. Dabei kam es mir vor, als würde er auch das letzte bißchen Lebensenergie aus mir heraus saugen.
Ich zog mich komplett in mich zurück, die Atmosphäre in unserer Familie war zum Zerreißen angespannt.
Das was ich im Internet fand, half mir nicht weiter, ich fing an die menschliche Psyche zu studieren und hörte damit wieder auf, als ich das erste Mal auf Missbrauchsseiten stieß.
Es gelang mir kurzfristig mich wieder ein wenig aufzurappeln.
Am 27.06.04 (wieder hatten seine zwei Brüder Geburtstag) ließ ich meinen zu der Zeit 16 jährigen Sohn in die Psychiatrie einliefern.
Er hatte eine Überdosis Codein vor meinen Augen geschluckt. Ich verstand diesen Hilfeschrei sofort und hoffte auf schnelle und kompetente Hilfe. Ich kannte solche "Aktionen" nur zu gut aus meiner eigenen Jugend.
Wir holten meinen Sohn nach wenigen Tagen wieder heim, ich fühlte mich ein wenig besser, bestärkt durch die Klinikpsychologen. Sie bestätigten mir ein außergewöhnlich gutes Verhältnis zu meinem Sohn und gaben mir ein wenig Hoffnung.
Vier Wochen später schrieb ich das erste Gedicht auf meinem mittlerweile angeschafften PC, alle denen ich es zeigte, fanden es toll, ich gab auch Kopien an verschiedene Freunde, auch an meine Mutter, aber anscheinend verstand keiner den Sinn (Ihr könnt das Gedicht nachlesen, es heißt "Hoffnung" und ist unter Gedichte zu finden).
Von da an überschlugen sich meine Emotionen, ich recherchierte wieder weiter in Büchern und Internet und verlor das Interesse an fast allem. Ich versorgte nur noch meine Tiere und so wie ich es schaffte meine fast erwachsenen Kinder.
Ich schrieb ein weiteres Gedicht ("Von Liebe und Glück"), kurz vor unserem 8.Hochzeitstag, der auch gleichzeitig der 15.Jahrestag unserer Beziehung war, meine Mutter gratulierte mir, meinem Mann fiel es erst auf, als ich ihn Tage danach darauf aufmerksam machte.
Mir fehlte Ende das Jahres die Kraft um das Weihnachtsfest auszurichten, ich schmückte die Wohnung nicht, kaufte nichts zu Essen für das Fest und stellte auch keinen Baum auf.
Die Kinder versuchten das Fest zu retten, räumten die Wohnung auf und als meine Mutter, meine Tochter und mein Sohn (der bei seinem Vater lebte) eintrafen schaffte ich es mich aufzuraffen um für alle aus den Vorratsbeständen ein Essen herzurichten.
Anschließend, als alle aßen, ging ich auf mein Zimmer und hörte sie feiern.
Die Beziehung zu meinem Mann, war mittlerweile fast ganz kaputt, er forderte wirklich noch immer. Anfang Dezember hatte er mir mitgeteilt, er wolle jetzt die Scheidung. Ich war irgendwie sogar erleichtert, aber später erklärte er mir, er habe damit nur gedroht, weil er dachte ich würde dann um ihn kämpfen................
Ich schlief fast gar nicht mehr, recherchierte fieberhaft im Internet und las in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar eine Diplomarbeit über die Spätfolgen von sexuellem Missbrauch. Ich war darauf gestoßen als ich die Worte "sexuelle Aversion" in die Suchmaschine eingetippt hatte.
Dieser Bericht triggerte mich dermaßen, daß ich mir in der selben Nacht sicher war, irgendwann in meiner Kindheit oder Jugend sexuell missbraucht worden zu sein.
Ich fühlte mich sogar irgendwie erleichtert, schöpfte ein wenig Hoffnung für meine Ehe. Aber als ich ca. 2 Wochen später, mit meinem Mann versuchte darüber zu reden, reagierte dieser für mich absolut niederschmetternd.
Er warf mir unter vielem Anderen auch vor, das erfunden zu haben um nicht mit Ihm schlafen zu müssen, ich ließ die Demütigungen tatenlos über mich ergehen und schrieb Ihm das Gedicht "Erklärungsversuch". Auch dieses Gedicht verstand mein Mann nicht, ich schrieb noch mehr Gedichte, so konnte ich meine verwirrten Gefühle ausdrücken und hatte das Gefühl nicht mehr an der Sache zu ersticken.
Das letzte Gedicht an meinen Mann ("Für E.") schrieb ich ihm einen Tag, bevor er zu seiner Mutter zog.
Ich kämpfte mit den aufsteigenden Erinnerungen und brach völlig zusammen, mein Mann tauchte jeden Tag auf und beschimpfte mich oder saß heulend vor mir und wollte getröstet werden.
Ich hielt das sieben Wochen lang durch, vermittelte Tiere von mir in geeignete Hände, ich schlief nur noch vollkommen übermüdet für wenige Stunden alle paar Tage und aß fast gar nichts mehr.
Als ich gar nicht mehr hoch kam, völlig entkräftet und wirklich am Ende, beschloß ich mit Hilfe meines "Engels" zu flüchten. Obwohl mein Mann noch versucht hat, zu verhindern dass ich fort gehe habe ich es, wie durch ein Wunder geschafft......
Das war vor 4,5 Monaten. Seit dem arbeite ich hart an meiner Heilung, und ich kann Euch allen nur sagen,

ES LOHNT SICH WIRKLICH,

auch wenn der Weg sehr lang und steinig ist.

Alles Liebe

jK


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